Beobachtungen, Gedanken & Ideen

Vom Pflasterer zum Boogie Woogie

Als ich die "Laudatio" Volker Klotzsches auf den "bayrischen (hätte er nicht besser 'bairischen' schreiben sollen?) Tanz- und Singnarren" Wolf A. Mayer im "Volkstanz", Heft 3/2007, las, kamen mir erhebliche Bedenken: Ob nicht einige unserer "fortschrittlichen" Volkstänzer das hervorgehobene Mayer-Zitat "Der Tanz, der verändert wird, lebt" freudig jubelnd und bereitwillig in "den falschen Hals" bekommen könnten. Und hier lässt Klotzsche doch einiges offen. Was meint Mayer mit einem "Tanz", der weiter entwickelt wird, der also lebt? Gavotte, Polka, Tango und Foxtrott sind "Tänze", aber auch die "Maike" und der "Fröhliche Kreis" sind "Tänze". In welchem Zusammenhang sagt Mayer so etwas? Zitate, aus dem Zusammenhang gerissen, können oft das Gegenteil von dem aussagen, was der Zitierte eigentlich wollte. Normalerweise tut man so etwas nur, um Denkrichtungen, Sichtweisen vorzugeben, nach dem Motto "Guck mal, der denkt auch so..."

Wenn ich mir vor Augen halte, was über Wolf A. Mayer bei "Google" zu lesen steht, und was mir Gewährsleute aus dem Münchner Raum, die ihn ganz gut kennen, berichten, fällt es mir sehr schwer zu glauben, dass er das so absolut auf den Volkstanz bezogen sehen wollte, wie das in dem Beitrag über ihn, noch dazu in einem speziellen Volkstanz-Organ, klingt. Der Volkstanz ist doch sozusagen – vom Disco-Tanz her gesehen – das andere Ende der Fahnenstange: dort Einzeltanz, jeder ist mit sich selbst und seiner "künstlerischen Leistung" beschäftigt, nimmt den anderen kaum noch wahr, hier die Gemeinschaft, das Gemeinsame, auch wenn wir heute aus dem internationalen Volkstanz übernommene "Einzeltänze" tanzen. Sie werden aber von vielen in einer gemeinsamen Form getanzt.

Dagegen kann ich mir gut vorstellen, dass er – schon aus seiner Funktion als Kreispfleger für Volksmusik (für Nicht-Bayern: so etwas gibt es in Bayern bis zur Regierungsbezirksebene!) – die Gesamtentwicklung des Tanzes aus dem ursprünglichen Schreittanz eben bis hin zum Boogie Woogie (und inzwischen noch ein bisschen weiter) mit einigen Zwischenstationen wie z. B. Schottisch, Walzer und Polka im Sinn hatte. Alle unsere heutigen Tänze oder deutlicher "Tanzformen" sind doch ("nur") Weiterentwicklungen. Oft mit nur geringen Unterschieden zu einem Vorläufer, aber doch immer in etwas Neuem, auch im musikalischen Ausdruck, sich dokumentierend.

Jedoch besonders unter norddeutschen Volkstänzern scheint man unter Weiter-Entwicklung etwas deutlich anderes zu verstehen. Da baut man in einem Tanz eine Figur um, weil sie einem nicht zusagt – nicht aus einer gesundheitlichen oder altersbedingten Notwendigkeit heraus, sondern aus purer Lust am Verändern (oder sollte ich saqen: Zerstören?). Stellen wir uns doch einmal vor – und das ist nicht total ein Ergebnis meiner Fantasie -: Tanzleiter A gefällt der B-Teil in der "Holsteiner Dreitour" nicht: Da muss sich doch etwas ändern lassen! Diesen veränderten Tanz sieht der Tanzleiter B, dem nun wiederum der C-Teil nicht gefällt. Da muss sich doch … (s. o.). Diese Form gefällt dem Tanzleiter C – bis auf einige Wechselfiguren im A-Teil. Also folgt er dem Beispiel seiner Vorgänger – und schon hat sich ein Tanz aus lauter Lust am Verändern "zu Tode gelebt"! Nur der Titel und (vielleicht) die Musik erinnern noch an den Ursprung. Aber mit vielen anderen gemeinsam tanzen kann man ihn dann nicht mehr.

Verändern in Sinne der Weiterentwicklung heißt nicht, an etwas Bestehendem herumdrehen, sondern etwas Neues schaffen. Es reicht ja, wenn man das in kleinen Schritten tut. Und wenn jemand heute auf dem Gebiet des Volkstanzes etwas wirklich Neues schafft, nicht nur "umschichtet", dann lebt auch der Volkstanz noch.

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